Josephine Kochs Töchter: 160 Jahre Franziskanerinnen von der hl. Familie

von Dr. Alfred Minke, Eupen

„Die Ordensperson findet nur darin ihre Freude und ihren Trost auf Erden, worin ihn die heiligen Stifter fanden: in dem Vergessen ihrer selbst, in der Selbstüberwindung und Selbstaufopferung…, lassen wir es uns niemals gereuen, uns dem Bußleben im Orden gewidmet zu haben. Hier auf Erden ist der Ort, wo wir uns den Himmel verdienen sollen dadurch, dass wir mit den uns vom lieben Gott verliehenen Talenten andere hinzugewinnen.“ Dies schrieb Mutter Elisabeth, geborene Josephine Koch, die Gründerin der Franziskanerinnen von der Heiligen Familie, einst ihren Schwestern.

Heutzutage werden viele mit diesen Zeilen kaum noch etwas anfangen können. Seit dem Gründungsjahr der Franziskanerinnen von der Heiligen Familie – 1857 – hat die westliche Gesellschaft sich zutiefst gewandelt. Selbstverleugnung ist zum Fremdwort geworden, angesagt sind vielmehr Selbstverwirklichung sowie das Streben nach Macht, Ansehen und Besitz. Zahllose Veröffentlichungen, Hörfunk- und Fernsehbeiträge sind sich einig: die Welt ist egoistischer, individualistischer und materialistischer geworden. Diese Entwicklung zeichnete sich schon nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ab und nahm in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre immer mehr Fahrt auf.

Leidtragende dieser Kulturrevolution waren nicht zuletzt die Ordensgemeinschaften, deren Regeln – spätestens seit 1968 war alleine schon dieses Wort für viele Zeitgenossen ein rotes Tuch… – (deren Regeln) nun immer häufiger als „unzeitgemäß“ empfunden wurden. Die Folge war ein Einbruch bei den Eintritten, der auch die Franziskanerinnen von der Heiligen Familie nicht verschonte. Dies veranlasste die Generalleitung schließlich zu dem Beschluss, in Europa künftig keine Novizinnen mehr aufzunehmen. Zu Recht verwies man dabei auf die  Schwierigkeit, das Einleben junger Frauen in zum Teil stark überalterte Klostergemeinschaften harmonisch zu gestalten.

Lediglich in der Demokratischen Republik Kongo gibt es nach wie vor Neuzugänge, die allerdings einer sehr intensiven Begleitung bedürfen, um in einem von Krieg, Korruption und Ausbeutung heimgesuchten Land ihre Berufung festigen zu können. Aus diesem Grund werden seit 2013 auch in diesem Land keine Novizinnen mehr aufgenommen.

Vor zwei Jahren habe ich im „Klösterchen“ einen Rückblick auf das bewegte Leben der Gründerin der Franziskanerinnen von der Heiligen Familie, Mutter Elisabeth, geborene Josephine Koch, gehalten. Wir gedachten damals ihres 200. Geburtstages. Was liegt näher, als in diesem Jahr des 160. Geburtstages ihrer Gründung und damit der rund 1.750 Ordensfrauen zu gedenken, die seit 1857 bestrebt sind, Mutter Elisabeths Ideale nach zu leben?

Die Geschichte der Franziskanerinnen von der Heiligen Familie ist mindestens ebenso abwechslungsreich wie die Biographie Josephine Kochs. Die im „Klösterchen“ am Eupener Marktplatz aus der Taufe gehobene Ordensgemeinschaft, kirchenrechtlich als „Kongregation“ bezeichnet, war stets auch ein Spiegelbild ihrer Zeit mit allen Höhen und Tiefen, ihren Licht- und Schattenseiten. Es ist eine Geschichte nicht von blutleeren „Geistwesen“ sondern von Frauen mit Ecken und Kanten, oft hochherzig, manchmal kleingläubig, aber stets bemüht, in lebenslangem Ringen, den hohen Anspruch und die mitunter triviale Wirklichkeit des Ordenslebens in Einklang zu bringen.

Bis zu ihrem Tod im Jahre 1899 wurde Mutter Elisabeth nicht müde, ihre Schwestern daran zu erinnern, dass sie mit dem Ordensleben nie ein für alle Mal fertig sein würden, dass die Ordensfrau auf Vieles verzichten müsse, aber gerade durch diesen Verzicht ungeahnte Energien frei setzen könne, um bedürftigen, verlassenen, an Leib und Seele leidenden Mitmenschen eine Stütze zu sein.

Im vergangenen Jahr haben wir den 175. Geburtstag des Eupener St.- Nikolaus- Hospitals begangen. Dort trat Josephine Koch am 2. Dezember 1842 ihre Tätigkeit als Krankenpflegerin ein und hier scharte sie mehrere junge Frauen um sich, die, nach ihrem Vorbild, die Krankenpflege zu ihrer Lebensaufgabe machten.

Josephine Kochs Charisma schweißte die kleine Schar zu einer Gemeinschaft zusammen, aus der am 13. Juni 1857, mit Zustimmung der kirchlichen Hierarchie, die Kongregation der Franziskanerinnen von der Heiligen Familie wurde. Sechs Wochen später, am 22. Juli, erfolgte in der bis auf den letzten Platz besetzten Kapelle des „Klösterchens“ die sogenannte Einkleidung der ersten Mitglieder der neuen Ordensgemeinschaft. Mit 42 Jahren war Josephine Koch die Älteste der Gruppe, deren Altersdurchschnitt bei 30 Jahren lag. Vier der künftigen Ordensfrauen waren jünger als 25 Jahre, eine stand erst vor der Vollendung ihres 21. Lebensjahres.

Josephine Koch aus Aachen, Gertrud Janssen aus Kettenis, Theresia Michel aus Eupen, Sibilla Göbbels aus Niedermerz, Margaretha Wolter und Agnes Schüller aus Eschweiler, Maria Zillikens aus Floverich, Margaretha Esser aus Dürwiss, Theresia Ermke aus Fredeberg und Catharina Brée aus Haaren erhielten an diesem denkwürdigen Tag aus den Händen des Eupener Dechanten Pauls ihr Ordensgewand.

Nach einjähriger Probezeit legten die zehn Schwestern am 26. Juli 1858 die sogenannten ewigen Gelübde des Gehorsams, der Armut und der Keuschheit ab. Sie wählten Josephine Koch zur Oberin, ein Amt, in dem sie bis an ihr Lebensende immer wieder bestätigt werden sollte. Von ihren Mitschwestern  wurde sie seither „Mutter“ Elisabeth genannt.

Schon im Gründungsjahr war es den Franziskanerinnen von der Heiligen Familie vergönnt, zwölf weitere Schwestern aufzunehmen. Noch in späten Jahren erinnerte Mutter Elisabeth sich voller Dankbarkeit an diese Zeiten, die geprägt waren von fröhlicher Aufbruchstimmung, großer Regeltreue und geschwisterlichem Zusammenleben.

Es blieb Mutter Elisabeths lebenslange Überzeugung, dass die Zukunft ihrer Gemeinschaft ganz entscheidend von der Echtheit und Tiefe der Berufungen abhängig sei. Im Beisein einer bereits erprobten Schwester pflegte sie daher die Aspirantinnen – Postulantinnen genannt – sorgfältig auf ihre Eignung zum Ordensleben zu prüfen und sie eingehend nach den Beweggründen für ihren Schritt ins Klosterleben zu befragen. Mit Nachdruck rief sie ihnen ihre künftigen Pflichten in Erinnerung und führte ihnen die Schwierigkeiten des Ordenslebens im Allgemeinen und der Krankenpflege im besonderen ungeschönt vor Augen.

Die von jeder Schwester bei ihrem Eintritt einzubringende Aussteuer, die sogenannte Dot, sah Mutter Elisabeth eher als zweitrangig an, wodurch sie auch unbemittelten Mädchen und Frauen den Weg zum Ordensleben eröffnete, eine Einstellung, die im 19. Jahrhundert übrigens alles Andere als selbstverständlich war, aber wohl in der Herkunft Josephine Kochs aus ärmlichen Verhältnissen begründet lag.

Kargheit in der Ausstattung und Haushaltsführung der einzelnen Niederlassungen betrachtete Mutter Elisabeth als sichtbarstes Zeichen der Treue zu den Idealen des hl. Franz von Assisi, den seine Zeitgenossen bekanntlich den „poverello“ nannten. Die vom derzeitigen Papst Franziskus unablässig geforderte „arme Kirche für die Armen“: bei den ersten Franziskanerinnen von der Heiligen Familie war sie Alltag.

Davon konnte sich am 4. Juli 1860 auch der Oberpräsident der preußischen Rheinprovinz – ranghöchster Regierungsbeamter Preußens nach den Ministern – bei einem Besuch im „Klösterchen“ überzeugen. „Welche Einfachheit!“ entfuhr es ihm, als er den Speisesaal der Schwestern betrat. Der ihn begleitende protestantische Prediger soll  sogar zu Tränen gerührt gewesen sein…

Trotz strenger Zulassungsbedingungen und entbehrungsreicher Lebensweise wurden zwischen dem 22. Juli 1857 und dem 30. September 1874 insgesamt 139 Schwestern eingekleidet. Das entspricht einem Schnitt von acht Neuzugängen im Jahr, ein angesichts der besonders im nahen Aachen vorhandenen „Konkurrenz“ sicherlich achtbares, wenn auch, im Vergleich zu ähnlichen Schwesterngemeinschaften, eher bescheidenes Ergebnis. Dennoch ermöglichte es den Franziskanerinnen von der Heiligen Familie, ihren Wirkungskreis nach und nach über das Eupener St.- Nikolaus- Hospital hinaus auszudehnen.

Bereits am 3. November 1857 hatte Josephine Koch sich dem Pfarrer von Monschau gegenüber verpflichtet, „die Pflege der Armen und Kranken der Pfarre im Spital sowie in ihren Wohnungen“ zu übernehmen. Später kam noch eine „Anstalt zur Erziehung verwaister und verwahrloster Kinder“ hinzu.

In den folgenden Jahren erreichten Mutter Elisabeth immer wieder Anfragen zwecks Eröffnung neuer Niederlassungen, die sie jedoch, wegen der noch geringen Schwesternzahl, abschlägig bescheiden musste. Erst 1862 entschloss sie sich, im belgischen Grubengebiet von Plombières/Bleyberg einen weiteren Wirkungskreis zu eröffnen, wo den Franziskanerinnen schon bald der Ehrentitel „Mütter der Armen“ beigegeben wurde.

Die Franziskanerinnen von der Heiligen Familie waren keine Sozialrevolutionärinnen. Sie hielten sich nicht lange bei den strukturellen Gründen der Armut auf. Als theoretische Grundlage für ihr Wirken genügte ihnen das Gebot der  Nächstenliebe, „die großmütige Aufopferung ihrer Mittel und Kräfte zur Ausübung der christlichen Barmherzigkeit.“ Ihre Arbeitsmethode war die Tat, das beherzte, uneigennützige Zupacken in den „Warteschulen“, also Kindergärten, bei der Betreuung und Erziehung „verwahrloster und verwaister größerer Kinder“, in der Krankenpflege sowohl in Hospitälern als auch Privatwohnungen, bei der Unterstützung bedürftiger Familien und alleinstehender Frauen, der Pflege von Geisteskranken und der Führung öffentlicher Küchen für die Armen.

In unseren Breiten werden diese Bereiche heute von der öffentlichen Hand – Staat, Region, Gemeinschaft, Gemeinden und Sozialhilfezentren – abgedeckt. Im 19. und teilweise noch im 20. Jahrhundert war dies hingegen selten der Fall. Staat und Kommunen überließen das Schulwesen und die Sozialfürsorge weitestgehend den kirchlichen Einrichtungen und insbesondere den Orden: zum Einen schätzte man deren Erfahrung und zum Andern arbeiteten die Ordensleute, wie man zu sagen pflegt, für „Gottes Lohn“, was die öffentlichen Kassen natürlich erheblich entlastete…

Kein Wunder also, dass auf die Niederlassungen in Eupen, Monschau und Bleyberg bis 1875, dank des nun stetigen Anwachsens der Schwesternzahl, fünf weitere folgten: Brachelen bei Linnich (1865), Charleroi (1869), Kohlscheid (1870), Antwerpen (1874) und Gensterbloem bei Henri-Chapelle (1875). Aber auch in den Lazaretten der deutsch-österreichischen und deutsch-französischen Kriege (1866 und 1870/71) waren die Franziskanerinnen von der Heiligen Familie aufopferungsvoll tätig. Nirgendwo hatten sie sich aufgedrängt, überall war ihr guter Ruf ihnen vorausgeeilt und hatte die jeweiligen Entscheidungsträger veranlasst, ihre Dienste anzufordern.

In den ersten Satzungen der Franziskanerinnen von der Heiligen Familie ist auch immer wieder die Rede vom „Seelenheil“ ihrer Schutzbefohlenen. Es sollte ihnen mindestens ebenso wichtig sein wie deren körperliche Genesung. Darin waren die Schwestern durchaus folgsame Kinder der katholischen Kirche ihrer Zeit, die sich ja entschieden als die einzig wahre verstand und dieser Wahrheit auch überall Geltung verschaffen wollte.

Aber was diesen „Missionierungsauftrag“ anbelangt, gehen die ersten Satzungen der Franziskanerinnen sehr umsichtig zu Werke. An keiner Stelle wird die Hinwendung zum katholischen Glauben zur Vorbedingung für eine wie auch immer geartete Hilfeleistung gemacht. Zwar erwartet Mutter Elisabeth, dass die Schwestern bei ihren Schutzbefohlenen den Glauben und die Gottesliebe fördern, den Gehorsam gegen geistliche und weltliche Vorgesetzte „einimpfen“, „Abscheu gegen die Sünde“ sowie „Liebe zur Tugend und zum Gebet wecken“. “Vor allem“ besteht sie jedoch darauf, dass man ihnen Ordnung, Reinlichkeit, Fleiß, Bescheidenheit und Sparsamkeit in den „Lebensbedürfnissen“, also durchaus allgemein gültige gesellschaftliche Tugenden beibringt.

Außerdem verlangen die Satzungen ausdrücklich, dass die Schwestern ihren „Pfleglingen“ stets mit „Geduld und Sanftmut“ begegnen, ihren „Undank“, ihre „Grobheit“, ihre „Launen und Unarten“ ertragen und des Weiteren bestrebt sind, gerade die „armen Sünder“ mit „verdoppelter Milde und Freundlichkeit“ in der Erfüllung ihres Dienstes sowie durch eifriges Gebet für Gott gewinnen.

Allgemein galt und gilt noch immer:  Menschen kann man nur schwer alleine mit Worten bekehren. Letztlich gibt fast immer das gelebte Zeugnis, die tagtägliche, völlig unprätentiöse Treue zu einem Ideal den Ausschlag. Und dieses überzeugende Zeugnis gaben die Franziskanerinnen von der Heiligen Familie gerade in den ersten zwei Jahrzehnten ihres Bestehens auf besonders leuchtende Weise. Angespornt von Mutter Elisabeth waren sie buchstäblich Tag und Nacht bemüht, ihren notleidenden Mitmenschen uneigennützig und uneingeschränkt beizustehen.

Umso befremdlicher mag es erscheinen, dass eine so pragmatisch veranlagte Frau wie Mutter Elisabeth bereits 1859, nur zwei Jahre nach der Gründung ihrer Kongregation, erstmals die Absicht äußerte, neben der tätigen eine rein kontemplative Abteilung ins Leben zu rufen.

Wichtige Voraussetzungen für das Gelingen einer „Kontemplation“ sind, ähnlich wie bei der Meditation, Abgeschiedenheit und Stille sowie der Wille, die spirituelle oder religiöse Dimension des eigenen Lebens zu vertiefen. Bei der christlichen „Kontemplation“ konzentriert der menschliche Geist sich zunächst ganz auf das Überirdische, die Gegenwart Gottes, und versucht dann, unter beständigem Gebet, weiter in den Gegenstand seiner Betrachtung vorzudringen. 

Schon früh hatte sich bei Mutter Elisabeth ein tiefes Bedürfnis nach Zurückgezogenheit entwickelt. In den vielfältigen Schwierigkeiten, die sie bewältigen musste, ehe sie ihre eigene Gemeinschaft gründen konnte, gab es denn auch immer wieder Augenblicke der Mutlosigkeit, in denen sie erwog, einfach Alles stehen und liegen zu lassen, um in einen strengen, rein kontemplativen Orden einzutreten. Jetzt, wo sie ihr eigentliches Ziel erreicht hatte, meldete sich diese Sehnsucht nach  Ruhe und völliger Versenkung in das göttliche Geheimnis wieder zurück.  Bilder aus den Anfängen ihres Ordenslebens stiegen nun wieder vor ihrem geistigen Auge auf.

Im Alter von 22 Jahren war sie in das 1698 auf dem Eupener Heidberg gegründeten Kloster der Rekollektinnen eingetreten, dem damals die aus Eupen stammende, ehemalige Lehrerin Juliana Leusch als Schwester Maria Franziska vorstand. Deren Wunsch, wieder die strenge Regel des 17. Jahrhunderts einzuführen, hatte Josephine Koch begeistert aufgegriffen und, in der frohen Erwartung wieder in völliger Klausur leben zu können, ihre auf fünf Jahre befristeten zeitlichen Gelübde abgelegt. Doch zu Beginn des Jahres 1839 war Oberin Maria Franziska verstorben und ihre Nachfolgerin, Schwester Antonia, hatte die Wiedereinführung der alten Ordensregel erst einmal zurückgestellt. Nach Ablauf ihrer zeitlichen Gelübde im Jahre 1842 war Josephine Koch deshalb aus dem Kloster Heidberg ausgetreten, um als Krankenpflegerin in dem ein Jahr zuvor eröffneten Eupener Hospital zu arbeiten.

Die Trennung Josephine Kochs von den Rekollektinnen alles andere als harmonisch verlaufen, dennoch hatte sie diese Jahre nicht verdrängt. „Ich muss werden, was ich im alten Kloster nicht habe sein können“, pflegte sie zu sagen. Und: „Es fehlt noch das Herz in unserer Genossenschaft“, das heißt ein Ort, wo die karitative Arbeit der Schwestern in unablässigem Gebet der göttlichen Vorsehung anvertraut wird.

Es sollte indessen fast zehn Jahre dauern, ehe alle Hürden auf dem Weg zur Verwirklichung dieses Anliegens genommen waren. Erst am 17. April 1868 genehmigte die kirchliche Obrigkeit die Errichtung einer beschaulichen Abteilung innerhalb der Kongregation der Franziskanerinnen von der Heiligen Familie. Jetzt durften die wenigen schon länger kontemplativ lebenden Schwestern des „Klösterchen“ endgültig nach der nur geringfügig angepassten, fast 250 Jahre alten Regel der Pönitentinnen-Rekollektinnen leben.

Wie bei der Gründung ihrer Kongegation fand Mutter Elisabeth auch bei der Errichtung der kontemplativen Abteilung in Nikolaus Joseph Cornet, Rekor an der Eupener Klosterkirche, einen klugen Ratgeber. Cornet stammte aus Malmedy, wo er 1826 zur Welt gekommen war. Nach Studien in Belgien, hatte er am 8. April 1850 in Köln die Priesterweihe empfangen. Schon zwei Wochen später war er nach Eupen entsandt worden, wo er bis zu seinem Tod im Jahre 1891 tätig bleiben sollte. Jegliches Streben nach kirchlicher oder weltlicher Anerkennung war diesem schlichten Mann fremd, die Sorge um Randgruppen innerhalb der Eupener Gesellschaft sein Herzensanliegen. Vielseitig interessiert und hoch gebildet wurde Cornet im Laufe der Jahre zur unverzichtbaren Bezugsperson für die spirituelle Ausrichtung der Franziskanerinnen von der Heiligen Familie.

Als die noch junge Schwesterngemeinschaft Anfang der 1870er Jahre mehr und mehr ins Visier des preußischen Staates geriet, war es für Mutter Elisabeth jedenfalls sehr beruhigend, diesen umsichtigen Seelsorger an ihrer Seite zu wissen.

Der Begriff „Kulturkampf“ wird wohl so manchem noch vom Geschichtsunterricht her ein Begriff sein. Das Wort war im Revolutionsjahr 1848 erstmals aufgekommen. 1873 griff der an der Berliner Charité lehrende bekannte Pathologe Professor Rudolf Virchow es in einem Wahlaufruf seiner Fortschrittspartei wieder auf. Zu diesem Zeitpunkt war die Auseinandersetzung zwischen dem 1870/71 aus der Taufe gehobenen Deutschen Reich und der katholischen Kirche schon in vollem Gange.

Otto von Bismarck, preußischer Ministerpräsident und erster Reichskanzler, sah in den Beziehungen zwischen den deutschen Katholiken zum Papst die Gefahr einer äußeren Einmischung des Vatikans in innerdeutsche Belange und begann sogleich, die Bischöfe und das Kirchenvolk, insbesondere in Preußen, einer immer engmaschigeren staatlichen Kontrolle zu unterwerfen.

1875 traf es die katholischen Orden und Kongregationen. Alle, die sich nicht der Krankenpflege widmeten, wurden verboten. Die anderen unterlagen einer kleinlichen Gängelung. So waren sie u. a. verpflichtet, vor der Aufnahme neuer Mitglieder eine staatliche Genehmigung einzuholen und jegliche personelle Veränderung unverzüglich den Behörden zu melden.

Mutter Elisabeth, die die politische Entwicklung im Deutschen Reich aufmerksam verfolgte, war nicht überrascht. Für sie stand fest, dass sie sich der staatlichen Bevormundung nicht unterwerfen würde. In mehreren höflichen jedoch sehr bestimmten Briefen machte sie dies sowohl dem preußischen Kulturminister als auch dem Landrat des Kreises Eupen klar.

Am 1. Januar 1876 schieden die Franziskanerinnen von der Heiligen Familie gegen den ausdrücklichen Wunsch der kirchlichen Behörden sowie der Stadt Eupen und deren Armenverwaltung aus dem St.- Nikolaus- Hospital und den städtischen „Bewahrschulen“ aus. Auch die öffentlichen Suppenküchen wurden aufgegeben.

Bereits im Juni 1875 hatte Mutter Elisabeth das in Belgien, zwischen Henri-Chapelle und Aubel gelegene Landhaus Gensterbloem  angemietet und am 26. August des gleichen Jahres das ehemalige Karmeliterkloster im flämischen Löwen gekauft. Dorthin verlegte sie nun die Ordensleitung. Die in dem von Rektor Cornet errichteten Haus „Nazareth“ von den Franziskanerinnen betreuten Waisenkinder brachte man nach Gensterbloem.

Die gleiche Haltung wie die Ordensgründerin nahmen auch die Oberinnen der Niederlassungen von Monschau, Brachelen und Kohlscheid ein. Daraufhin beantragte der Aachener Regierungspräsident die Auflösung der Kongregation der Franziskanerinnen von der Heiligen Familie „im Wege Königlicher Verordnung“. Dies lehnte die Regierung in Berlin jedoch mit der Begründung ab, dass ein rascher Ersatz für die Schwestern nicht gefunden werden könne. Somit arbeiteten die in den drei vorgenannten Ortschaften tätigen Ordensfrauen vorerst unbehelligt weiter und auch im Eupener „Klösterchen“ blieben einige Schwestern zurück, um die Hauskrankenpflege weiterzuführen und alleinstehenden Frauen, gegen ein bescheidenes Entgelt, Wohnung und Verpflegung zu bieten.

Für die Franziskanerinnen von der Heiligen Familie begann jedenfalls eine neue Ära. Löwen wurde zur Ausgangsbasis für die Gründung neuer Niederlassungen in Belgien und den Niederlanden, so Turnhout, Nijmegen, Tilburg und Lüttich. An all diesen Orten waren die ambulante Krankenpflege und die mit dieser fast immer einhergehende Sorge für die Bedürftigen die wichtigsten Aufgaben.

Bismarcks „Kulturkampf“ hatte sich derweil festgefahren. Im Reichstag und im preußischen Parlament verteidigte die katholische Zentrumspartei vehement die Interessen der katholischen Kirche. Die katholische Bevölkerung begegnete den staatlichen Schikanen ihrerseits mit großer Geschlossenheit. Und innenpolitisch stärkte der staatliche Kirchenkampf keineswegs die national-liberalen Regierungsparteien sondern vielmehr die Bismarck verhassten Sozialdemokraten und sogar die Anarchisten. So konnten mehrere Anschläge auf Kaiser Wilhelm I. nur knapp verhindert werden.

Aber auch in Rom blieb man nicht untätig. Auf den die moderne Welt unversöhnlich verdammenden Papst Pius IX. folgte 1878 Leo XIII. , ein Aristokrat mit diplomatischer Vergangenheit. Dessen diskret angedeutete Gesprächsbereitschaft nahm Bismarck denn auch umgehend in Anspruch. Ab 1880 baute die Regierung die katholikenfeindliche Gesetzgebung nach und nach ab. Als letztes wurden 1886/87 alle kirchlichen Orden ausnahmslos wieder zugelassen.

Nur sieben Jahre später begründete Mutter Elisabeth mit dem Kneipp-Kurhaus „Nazareth“ eine zweite Niederlassung in Eupen. Nach dem Tod der Ordensgründerin im Jahre 1899 nahmen ihre aus Deutschland stammenden Nachfolgerinnen im Amt der Generaloberin die weitere Ausbreitung der Franziskanerinnen im Rheinland und in Westfalen in Angriff. Bis 1917 entstanden neue oder zusätzliche Niederlassungen in Aachen, Bardenberg, Kohlscheid, Dortmund, Bochum und Köln. Schwerpunkte blieben die ambulante und stationäre Krankenpflege sowie die Fürsorge, neben welche nun aber auch verstärkt die Säuglingspflege, die Betreuung alter Menschen und die Führung von Kinderhorsten, Bewahr- und Handarbeitsschulen sowie Mädchenheimen traten.

Gleichzeitig veränderte sich die interne Struktur der Franziskanerinnen. Mehr und mehr traten jetzt junge Frauen aus Belgien und den Niederlanden der Ordensgemeinschaft bei. Während die deutschen Schwestern in Löwen oder Eupen ihre Probezeit absolvierten, fand die Ausbildung der belgischen und niederländischen Postulantinnen und Novizinnen fortan in Löwen beziehungsweise Nijmegen statt.

Einerseits war diese neue Vielfalt eine Bereicherung für die Franziskanerinnen von der Heiligen Familie, andererseits trug sie den Keim nationaler Spannungen in sich. Das stolz und selbstbewusst auftretende Deutsche Reich Kaiser Wilhelms II. beobachtete man in den Nachbarländern Belgien und  Niederlande schon länger mit Argwohn und wachsender Besorgnis. Von diesen Gemütsbewegungen blieben die jungen Frauen, die in diesen Jahren zur Kongregation stießen, selbstverständlich nicht frei.

Der Überfall des Deutschen Reiches auf das neutrale Belgien am 4. August 1914 stürzte jedenfalls viele Schwestern in einen tiefen Gewissenskonflikt zwischen ihrer auf die Weltkirche ausgerichteten Existenz als Ordensfrau und ihren patriotischen Gefühlen.

Im Archiv der Franziskanerinnen von der Heiligen Familie wird das Tagebuch einer deutschen Schwester mit dem Ordensnamen Corbiniana aufbewahrt, die bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs im Kloster Lüttich tätig war. Die damals 28jährige Ordensfrau hat den Vormarsch der kaiserlichen Truppen in Innerbelgien aus nächster Nähe verfolgt. Einige Auszüge aus ihren Aufzeichnungen verdeutlichen mehr als viele Umschreibungen, welchen Zerreißprobe die Franziskanerinnen von der Heiligen Familie nur allzu bald ausgesetzt sein sollten.

Der erste Tagebucheintrag ist vom 2. August 1914: „Mitten in unseren stillen Klosterfrieden hinein tönt plötzlich der Ruf: ,Krieg’ Deutschland mit Frankreich. Wir schauen uns verwundert an und ängstlich zugleich. Warum wissen wir nicht. Kann denn ein Krieg uns irgend etwas anhaben? Das wissen wir auch nicht; wir haben ja noch keinen erlebt. Wir sind 10 Schwestern im Hause. 4 Deutsche, 4 Belgier, und 2 Holländer. Bisher ist uns das nie zum Bewusstsein gekommen, auch hat das nie, auch nicht im geringsten unser Gemeinschaftsleben gestört… Es ist eine unheimliche Stille in uns und um uns. Abends bei Tisch sind alle sehr kleinlaut; keiner spricht über den Krieg; einzelne weinen still vor sich hin…“

Am 3. Juli, einem Montag, forderte die belgische Polizei die Schwestern auf, die „Festung Lüttich“ so schnell wie möglich zu verlassen; Schwester Corbiniana schreibt: „… Schw. Oberin beschloss daraufhin nach Löwen ins Mutterhaus zu gehen…“

In den folgenden Wochen erleben die im Löwener Mutterhaus lebenden Schwestern, wie sich der deutsche Belagerungsring um die Stadt immer enger zieht. Am Morgen des 21. August werden sie von belgischen Soldaten gewarnt: der Einmarsch der Deutschen stehe unmittelbar bevor. Hören wir wieder Schwester Corbiniana: „… Und pünktlich wie die Deutschen immer sind, hörten wir um 1 Uhr die deutsche Militärmusik und das Lied ,Deutschland, Deutschland über alles’. Am liebsten hätten wir junge Schwestern gleich begeistert mitgesungen, aber wir müssen Rücksicht nehmen auf unsere belg. Mitschwestern, die nun von demselben Weh gepackt werden, wie wir vorher… Bis gegen Abend ging alles ruhig her; aber dann… empörte sich das belgische Volk und es begannen die ersten Straßenkämpfe…„

Noch immer sind die schrecklichen Vorkommnisse bei der Eroberung  Löwens durch das kaiserliche Heer nicht restlos aufgeklärt. Augenscheinlich war das unter den deutschen Soldaten weit verbreitete Gerücht von den belgischen „franc-tireurs“, den Heckenschützen, der Auslöser für eine wahre Gewaltorgie. Vor dem Löwener Bahnhofsgebäude wurden 29 belgische Geiseln standrechtlich erschossen. Die deutsche Heeresleitung beschloss, die Stadt, wie Schwester Corbiniana es bezeichnet, „zu vernichten“. Unter Verwendung von Phosphor setzte man Löwen gleich an mehreren Stellen in Brand. Das Feuer wütete tagelang und legte über 1.000 Häuser in Schutt und Asche. In der Universitätsbibliothek verbrannten über 300.000 Bücher, Frühdrucke und Handschriften.

Am 27. August erschien ein deutscher Offizier im Mutterhaus und riet den Schwestern, Löwen baldmöglichst zu verlassen. Man könne ihnen bis Aachen Geleitschutz geben. Dazu Schwester Corbiniana: „Zunächst gab es mal ein großes Durcheinander da man daran nicht gedacht u. deshalb nicht vorbereitet war… in einer Stunde sollten wir alle am Bahnhof sein. Ich war mit den ersten unterwegs… Die Stadt brannte an allen Enden, das Volk schoss immer noch aus den Häusern und Kellern heraus; viele Auto’s mit bewaffneten Soldaten fuhren herum und drohten jeden niederzuschießen, der nicht mit hochgehobenen Armen durch die Strassen ging… Angeschossene Pferde wälzten sich herum, Menschen jammerten und Kinder hörten wir schreien. In der Bahnhofstrasse brannten fast alle Häuser, und wir mussten von einem Trottoir aufs andere springen damit uns keine brennenden Balken, die krachend auf die Straße fielen, trafen. Es war eine entsetzliche Not überall… Wir haben noch bis 2 Uhr nachmittags am Bahnhof gewartet. 3 belgische Schwestern blieben zurück im Mutterhaus. Sie konnten sich nicht entschliessen, mit nach Deutschland zu gehen… Kurz nach 2 Uhr setzte sich der Zug in Bewegung: traurig und mit gemischten Gefühlen grüssten wir noch einmal die Stadt, die schon teilweise ein Trümmerhaufen schien. Wir schauten nach dem Friedhof aus, der in der Ferne lag und wo unsere Stifterin und viele unserer lieben Mitschwestern ihren letzten Schlaf gefunden haben. Mit einem andächtigen ,De profundis’ verabschiedeten wir uns von ihnen, während der Zug uns langsam der deutschen Heimat zuführte…“.

Nach der Besetzung fast ganz Belgiens durch das Deutsche Reich kehrten eine Reihe deutscher wie belgischer Schwestern wieder nach Löwen und in die anderen belgischen Niederlassungen zurück. Doch die Katastrophe vom August 1914 blieb allen in unauslöschlicher Erinnerung und sie sorgte sowohl im Mutterhaus als auch in den anderen Konventen während der Kriegsjahre immer wieder für Spannungen und Auseinandersetzungen.

Die physischen und psychischen Wunden, die die deutsche Besatzungsmacht Belgien geschlagen hatte, konnte und wollte man dort nicht vergessen. Nach der am 11. November 1918 besiegelten Niederlage Deutschlands standen die Franziskanerinnen von der Heiligen Familie in Belgien vor einem menschlichen Scherbenhaufen.  Der durch den Versailler Vertrag keineswegs beseitigte, vielmehr noch befeuerte Nationalismus wirkte sich von Tag zu Tag verhängnisvoller auf das menschliche Miteinander in der Gemeinschaft aus. Besonders am Sitz der Generalleitung in Löwen, die bei Kriegsende noch ca. 50 Schwestern zählte, wurde die Lage unerträglich.

Seit Mitte Januar 1919 waren die Schwestern verpflichtet, sich zweimal in der Woche bei der Polizei zu melden. Ihr Kloster und die angrenzende, noch von Mutter Elisabeth gegründete Klinik wurden unter belgische Zwangsverwaltung gestellt. Am 14. März des gleichen Jahres verfügte die Regierung in Brüssel die Ausweisung von über 30 namentlich genannten Schwestern deutscher Staatsangehörigkeit, darunter die Generaloberin, Mutter Michaela. Belgisches Militär eskortierte sie bis zur Grenze.  Vorläufig fanden die Ausgewiesenen im Kloster Dortmund eine Bleibe. Schließlich nahm die Generalleitung ihren Sitz in der erst 1917 eröffneten Niederlassung Maris Stella in Köln.

Die Lichtgestalt des Widerstands gegen die deutschen Besatzer, der international hoch angesehene Erzbischof von Mecheln, Désiré Joseph Kardinal Mercier, drängte jetzt auf die Gründung einer besonderen Ordensprovinz für die auf belgischem Territorium gelegenen Niederlassungen der Franziskanerinnen. Auf dem am 19. April in Aachen abgehaltenen Generalkapitel unterstützten allerdings nur sechs von insgesamt 74 anwesenden Schwestern diese Forderung. Allgemein herrschte dennoch die Ansicht vor, dass die Statuten der Gemeinschaft den neuen kirchlichen und weltlichen Gegebenheiten angepasst werden müssten und dabei auch die Errichtung einer belgischen, einer deutschen und einer niederländischen Provinz vorzusehen sei.

Kardinal Mercier wollte indessen nicht länger warten. In der Folgezeit arbeitete er in Rom erfolgreich auf die Trennung der belgischen Schwestern von der Kongregation hin. Der Generaloberin blieb nichts anderes übrig, als den in Belgien lebenden Schwestern frei zu stellen, entweder in der Kongregation zu bleiben oder sich einer anderen Ordensgemeinschaft anzuschließen. Für Letzteres entschieden sich letztendlich 19 Schwestern, die am 21. November 1922 in der Kapelle der Löwener Klinik das Ordenskleid der neu gegründeten Franziskanerinnen vom Heiligen Herzen erhielten.

Damit stand das Mutterhaus in Löwen nicht mehr zur Verfügung der Franziskanerinnen von der Heiligen Familie. Die Verhandlungen über eine Entschädigung für den Verlust der Löwener Immobilien sollten sich bis 1927 hinziehen. Mit Vermittlung des Generalvikars der Erzdiözese Mecheln, Jozef Van Roey, kam schließlich ein mehr oder minder zufriedenstellender Kompromiss zustande. Nach dem Tode von Kardinal-Erzbischof Mercier wurde Van Roey übrigens dessen Nachfolger als Primas von Belgien.

Mittlerweile war das Mutterhaus der Franziskanerinnen von der Heiligen Familie in Mayen im Bistum Trier angesiedelt worden. Eine Zufallsbegegnung in der Eisenbahn hatte den Ausschlag für diese Ortswahl gegeben. Bei einer Eisenbahnfahrt war Generaloberin Michaela von der Leiterin eines Fürsorgeheims für Mädchen auf ein leerstehendes Anwesen im Tal der Nette, unweit von Schloss Bürresheim, aufmerksam gemacht worden; schon am 21. November 1921 gingen die Gebäude samt einem 9 Morgen großen Grundstück in den Besitz der Kongregation über. Nach diversen Um- und Neubauten war das neue Mutterhaus im August 1923 endlich bezugsfertig.

Die Zwischenkriegszeit brachte die Kongregation zu neuer Blüte. 1927 zählte sie 33 Niederlassungen, davon 18 in Deutschland, 9 in Belgien und 6 in den Niederlanden. Zwei Jahre später wurde sie zu einer Vereinigung päpstlichen Rechts, das heißt, das die Generaloberin nun unmittelbar dem Papst unterstand. 1932 nahm die Ordensleitung dann die seit zehn Jahren überfällige Errichtung von Provinzen vor: die deutschen Klöster wurden in der Provinz St. Elisabeth, die belgischen in der Provinz St. Antonius und die niederländischen in der Provinz Vom Heiligen Kreuz zusammengefasst.

Diese Dezentralisierung der Verantwortlichkeiten trug zwar entscheidend zur inneren Befriedung der Kongregation bei, mit der Zeit hatte sie aber auch eine Entfremdung zwischen einerseits den belgischen und niederländischen Niederlassungen und andererseits der deutschen Zentrale zur Folge.

Nichtsdestotrotz stieg die Zahl der Neueintritte in den 1930er Jahren unaufhörlich an. Zwischen 1930 und 1940 wurden insgesamt 278 Novizinnen aufgenommen. Mit 837 Schwestern erreichte die Kongregation 1938 ihren höchsten Mitgliederstand überhaupt.

Der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs und die nun folgenden Jahre führten dann allerdings zu einem signifikanten Einbruch der Berufungen. Im Jahrzehnt 1940-1950 ging die Zahl der Eintritte auf insgesamt 65 zurück, stieg dann zwischen 1950 und 1960 bis 92 an – was u. a. von den Niederlanden aus die Gründung der Kongo-Mission ermöglichte –, doch 1965 wurde erstmals in der Geschichte der Franziskanerinnen von der Heiligen Familie kein einziger Neueintritt verzeichnet.

In Anbetracht dieser Zahlen sei die Bemerkung gestattet, dass die von nicht wenigen aufgestellte Behauptung, die Reformen des Zweiten Vatikanischen Konzils – es tagte von 1962 bis 1965 – hätten einen Zusammenbruch der Priester- und Ordensberufe bewirkt, im Fall der Franziskanerinnen von der Heiligen Familie eindeutig nicht zutrifft. Auch in anderen Regionen Europas und Nordamerikas sowie in anderen Orden und Kongregationen ist zu beobachten, dass in allererster Linie der Zweite Weltkrieg und seine bis dato noch nicht in allen Einzelheiten erforschten gesellschaftlichen Spätfolgen die kirchlich- religiöse Bindung nicht alleine der Katholiken dramatisch verändert haben.

In vielen Großstädten hatte die Entkirchlichung bereits im 19. Jahrhundert begonnen; nun griff sie auch auf die kleineren Städte und die Landgebiete über. Mittlerweile ist sie überall angekommen. Die Christen sind heute eine gesellschaftliche Minderheit, ihre Botschaft ist eine unter vielen.

Aus den vielfältigen Aufgaben, die die Franziskanerinnen von der Heiligen Familie 160 Jahre lang unentgeltlich und buchstäblich rund um die Uhr wahrgenommen haben, sind seit Beginn des 20. Jahrhunderts, im Zuge der nun energisch vorangetriebenen staatlichen Sozialgesetzgebung, mehr und mehr zivile Berufe geworden, zu deren Ausübung den Eintritt in eine Ordensgemeinschaft nicht mehr erforderlich ist.

Dennoch können die Franziskanerinnen von der Heiligen Familie, deren Mutterhaus seit 1994 wieder das Eupener „Klösterchen“ ist, mit Genugtuung und Gelassenheit auf ihre 160jährige Geschichte zurückblicken. Josephine Kochs Saat ist aufgegangen, sie hat reiche Frucht gebracht und wird seit 1958 auch in der Demokratischen Republik Kongo verbreitet.

Die kleine Gruppe der afrikanischen Schwestern erinnert mich mitunter an die Gründungsjahre der Franziskanerinnen von der Heiligen Familie. Sie müssen dort anpacken, wo staatliche Instanzen versagen, private Interessen über das Gemeinwohl stellen, in Rüstung und Bürgerkrieg statt in Fürsorge und Bildung investieren. Ohne intensive Begleitung durch die Ordensleitung könnten die kongolesischen Ordensfrauen ihre Aufgaben allerdings kaum bewältigen.  

Vom Einsatz so vieler Generationen von Ordensfrauen profitiert aber auch unsere europäische Gesellschaft bis heute. Dies wird zwar von der Öffentlichkeit kaum noch wahrgenommen, entspricht aber durchaus den Tatsachen. Es sind vielfach Frauenorden gewesen, die die sozialen Herausforderungen der immer weiter „boomenden“ Industrialisierung als erste erkannt und sich ihnen offensiv gestellt haben. Die damals begründeten Einrichtungen knüpften ein immer dichteres Netz, das letztlich der Politik ihre soziale Verantwortung ins Gedächtnis rief.

Wir stehen, wie man zu sagen pflegt, auf den Schultern unserer Altvorderen, sind Glieder einer unendlichen Kette der Solidarität, die immer wieder zu reißen droht, weil Egoismus und Eigennutz sie mit unschöner Regelmäßigkeit schweren Belastungsproben aussetzen. Gerade in solchen Augenblicken kann es hilfreich sein, sich die Frage zu stellen: was hätte Josephine Koch alias Mutter Elisabeth jetzt wohl getan?

Überlassen wir denn auch ihr das Schlusswort: „… gehen wir… hinaus zu den Kranken und Armen, um durch unsere schwachen Kräfte der leidenden Menschheit zu Hilfe zu eilen.“

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